Musizieren IV mit Mittelohrentzündung

Nikolaus Harnoncourt – ein bedeutender Dirigent, den ich sehr, sehr schätze – über die durch Pathologie veränderte Wahrnehmung von Klang:

… Vor fünfzig Jahren hatte ich eine Mittelohrentzündung. Da konnt ich überhaupt nichts hören. Ich bin natürlich dienstfrei gestellt worden, bei den Symphonikern, und erst nach einiger Zeit kam das Hören wieder. Und – es hat entsetzlich geklungen! Ich hab gemerkt, wenn ich das eine Ohr zuhalt, klingts gut, wenn ich das andere Ohr zuhalt, klingt’s auch gut, und wenn ich beide offen hab – klingt’s entsetzlich. Das lag daran, dass ich mit dem einen Ohr einen Ton höher gehört habe als mit dem anderen. Zuerst war es fast ein Ganzton, und über zehn Tage ist das Intervall immer kleiner geworden, aber so (macht ein Glissando rauf und runter)! Dann ist es auf einem Ton geblieben. Jetzt frag ich mich natürlich – welcher von den beiden Tönen ist richtig? Und ausserdem frag ich mich: Welchen Ton hören Sie? Weil, Sie haben ja andere Ohren, vielleicht haben Sie das Ohr, das ungefähr meinem rechten Ohr entspricht! Alles, was ich als gegeben hingenommen hab, ist ins Wanken geraten. Es kann wirklich sein, dass jeder Mensch vollkommen anders hört. Auch Klangfarben. Vermischungen von Klängen. Und wenn das so ist, wie kann man das festmachen und definieren? …“

Quellenangabe:
aus „Musikfreunde. Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Dezember 2010“

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